"Die Nachrichten kommen vom Volk und kehren zum Volk zurück." So stand es vor gut 25 Jahren auf einem Flugblatt, ein Jahr, in dem viel passierte. Am 17.1.1973 fand der erste, am 8.5.1973 der zweite Hungerstreik der RAF statt, der Putsch in Chile; am 17./18.11.1973 übernahmen erstmals die "Revolutionären Zellen" die Verantwortung für Sprengstoffanschläge auf Niederlassungen der Firma ITT, die mitverantwortlich für den Putsch in Chile war; in Frankfurt am Main gab es nach der Räumung eines besetzten Hauses gewaltsame Demonstrationen mit bis zu 5.000 TeilnehmerInnen, die Bundeswehr veranstaltete ihr Wintex Manöver '73, wilde Streiks bei Mannesmann, Hoesch, Hella und anderen Firmen. In diesem Jahr gründete sich der "Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten". Der ID, wie er auch kurz und bündig genannt wurde, erschien wöchentlich mit einer anfänglichen Auflage von 500 Exemplaren. Er hatte seine Vorbilder im Ausland wie z.B. den Liberation News Service (LNS) aus New York, die Agence de Presse Liberation (APL) aus Brüssel, die Liberation aus Paris, Lotta Continua aus Rom und den People's News Service (PNS) aus London.
Die alternative Presseagentur hatte den Anspruch, Betroffene zu Wort kommen zu lassen, d.h. Leute, die in den Medien überhaupt nicht oder nur als Objekte in Erscheinung traten. Später nannte man das "Betroffenenjournalismus". Wobei der Informationsgang durchaus diskutabel war. Theoretisch dachte man sich den folgenden Weg: Informant/Basisgruppe - ID - Pressenachricht - Zeitungsleser. Realistisch war ein anderer Informationsgang: Basisgruppe - ID - Basisgruppe (dieselbe oder eine andere). Aber schon 1970 zur Gegenmedientagung in Remscheid schrieb Rolf Schwendter zu der subkulturellen Opposition:"Hunderte von Blättchen, Minivertrieben, Einmanndruckereien, Eintagsfliegenverlagen, Zwergcoops beackern in Isolation und Konkurrenz die Bundesrepublik. Ihre Geldnöte und Schulden, ihre mangelnde Vertrautheit mit dem, was es zu bekämpfen gilt, mit dem kapitalistischen Marktmechanismus, kennzeichnen ihre Praxis. Sie besetzen einander die Redaktionen, sie haun einander über's Ohr alsob sie ihr gegenseitiger Hauptgegner wären."
Der ID war einer der ersten Versuche der Berichterstattung von unten. Der ID wurde immer schlechter, je perfekter er wurde, so sagt man. Er wurde langweilig, als er versuchte, die Langeweile gewaltsam zu vertreiben. Auf dem Weg zur Perfektion ist er im Wettlauf mit der taz gescheitert. Auf dem Weg dorthin war er noch Initiator einiger Alternativzeitungstreffen und Protagonist des Russell-Tribunals... Sein Ende war weniger spektakuläres Ereignis, denn normaler Alltag, medienunwürdig. 1981 stellte der ID sein Erscheinen ein. Übriggeblieben waren ein paar tausend Zeitschriften und ein Rest von Leuten. Schon war eine neue Idee geboren.
Informationsdienst: Zentrum für alternative Medien: "Projekt Gedächtnis"
1981 als gemeinnütziger Verein gegründet, betrieb der neue ID ein umfangreiches Alternativzeitschriftenarchiv in der Bundesrepu-blik. Getragen von den Erfahrungen des Zeitungssterbens und der Fluktuation der vielen Alternativzeitschriften drängte sich das Vorhaben eines Archives geradezu auf. Grundstock der Archivbestände waren die vielen Austauschabos des ID. In der Zeit von 1981-1988 wuchs das Archiv in Frankfurt am Main beständig. Ohne finanzielle Unterstützung war es aber nur bedingt möglich, das Archiv in dem Maße zu betreuen, wie es notwendig gewesen wäre. Mit Rechercheaufträgen und die Erstellung eines Registers für die TAZ und geringen regel-mäßigen Mitgliedsbeiträgen von Alternativzeitschriften konnte das Archiv aber nur mehr schlecht als recht überleben. Aus vielfältigen Gründen konnte das ID-Archiv dann seine Arbeit in Frankfurt am Main nicht mehr fortführen.
ID-Archiv im IISG Amsterdam
In Juni 1988 übernahm das Internationalen Institut für Sozialgeschichte (IISG) in Amsterdam das ID-Archiv. Die Aufgabenstellung des ID-Archivs änderte sich nicht. Das ID-Archiv umfaßt 5.400 Zeitschriftentitel aus dem deutschsprachigen Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz.
In der Zeitschriftensammlung sind folgende Themenbereiche besonders gut vertreten:
- lokale Alternativpresse
- Zeitschriften aus dem Bereich der alternativen Ökonomie und Selbsthilfe
- Zeitschriften aus dem Bereich der Militanz
- Zeitschriften der Dritten Welt Bewegung, Frauenbewegung, Ökologiebewegung, Friedensbewegung, Schwulen-Lesbenbewegung usw.
Das ID-Archiv sammelte alles, was von progressiv-linken und emazipatorischen politischen oder kulturellen Gruppen produziert wird, seien dies: Archive, Plakate, Flugblätter, Videos, Radiocassetten, elektronische Daten: Datenbanken, Internet-Sites, E-Texte und vieles andere mehr.
Die aktive Erwerbung der Materialien wurde 2002 beendet. Die Sammlungen wurden in die IISG-Bestände integriert, tragen aber immer noch das Kennzeichen des ID-Archivs.